Der Kanton Bern will sein Verhältnis zur Kirche „weiterentwickeln“. In Zukunft werden die Pfarrer und Pfarrerinnen nicht mehr Angestellte des Kantons, sondern der Landeskirchen sein. Der Kanton wird aber weiterhin die Entlöhnung der Geistlichen finanzieren, weil er aufgrund historischer Rechtstitel dazu verpflichtet ist. Dies ist die Schlussfolgerung des Regierungsrates aus einem von ihm in Auftrag gegebenen Bericht zum Verhältnis zwischen Kirche und Staat.
Der Kanton will mit diesen Massnahmen seinen „finanziellen Handlungsspielraum erweitern“, was in Alltagssprache eigentlich nichts anderes heisst als: sparen.
Ich denke, dies ist eine gesellschaftspolitische Entwicklung, die sich nicht aufhalten lässt und wohl auch nicht aufgehalten werden sollte. Was mich aber in dieser ganzen Diskussion sehr irritiert ist die Argumentation, wie sie auch von kirchlicher Seite verwendet wird.
Im erwähnten Bericht wird unter anderem auch wertschätzend festgestellt, dass die Landeskirchen „zahlreiche gesellschaftlich relevante Dienstleistungen erbringen“, deren Wert die finanziellen Zuwendungen an die Kirchen übersteigen. In einem Säulendiagramm wird dieser Wert dargestellt und beziffert: die Säule mit der Summe der Leistungen aus entlöhnter, ehrenamtlicher und freiwilliger kirchlicher Arbeit ist um einiges höher als die Säule „Finanzierung“.
In diesem Zusammenhang steht auch das häufigste Argument, das in der politischen Diskussion immer wieder von kirchlicher Seite hervorgebracht wird: Dass die Kirche ja auch viel soziale Arbeit leiste, sie kümmere sich um Arme, Einsame und Schwache, veranstalte Seniorennachmittage und Jugendarbeit – also erbringe Leistungen, die der gesamten Gesellschaft zugute kommen. Das stimmt und ist wirklich ein wichtiges Argument. Nur, damit wird den Kirchengegnern bereits das Gegenargument in die Hand gespielt, nämlich: Das können andere auch! Auch andere wohltätige, karitative Vereine oder Organisationen können Seniorenausflüge und Jugendlager veranstalten und soziale Arbeit leisten. Dazu braucht die Gesellschaft ja nicht unbedingt eine religiöse Organisation. So kursiert bereits die Idee, man könne ja in Zukunft soziale Projekte ausschreiben, die Kirche könne sich dann darum bewerben und würde dann – vorausgesetzt, sie bekommt unter anderen Mitbewerbern den Zuschlag – vom Staat dafür im Einzelnen bezahlt werden. Ich hoffe, dass es nie so weit kommen wird.
Das beste und wichtigste Argument, das meiner Ansicht nach aber für die Relevanz der Kirche in der Gesellschaft spricht, habe ich in der ganzen Diskussion noch kein einziges Mal gehört oder gelesen, auch nicht aus kirchlichen Kreisen. Dabei würde es doch auf der Hand liegen: Die Kirche ist im Besitz religiöser Kompetenz. Sie ist die Kraft in der Gesellschaft, die für die Themen Spiritualität und Transzendenz steht. Sie unterstützt die Menschen bei ihrem Suchen und Fragen nach dem „Anderen“, nach dem, das höher ist als das, was wir täglich erleben, was greifbar und auch be-greifbar ist. Kirche bleibt nicht beim irdisch Erlebbaren stehen, sondern thematisiert das „darüber hinaus“. Sie stützt sich dabei auf uralte Traditionen, auf Botschaften und Werte, die sich bewährt haben, sie bietet Inhalte und Rituale an, die vielen Menschen bei ihrer Lebensbewältigung helfen. Kirche hilft den Menschen, nach Sinn zu suchen, ihr Leben zu deuten und dabei auch Zweifel auszuhalten. Kirche begleitet Menschen bei ihren Lebensübergängen und allenfalls auch –brüchen und ist besondere Expertin für die Lebensgrenzen, also Sterben, Tod und Trauer. Sie sucht Worte für das Unsagbare. Dort, wo Wirtschaft, Medizin und Sozialarbeit an ihre Grenzen stossen, steht die Kirche den Betroffenen bei.
Bei all diesen Aufgaben geht es um Religiosität und Spiritualität, um das „Rückgebundensein“ des Menschen. Darum, so behaupte ich, sind es eben auch zutiefst gesellschaftlich relevante Aufgaben. Denn jeder Mensch sucht nach Sinn, fast jeder Mensch hat mehr oder weniger spirituelle Bedürfnisse (ich behaupte: auch Atheisten, sie leben diese nur anders), und es kann der Gesellschaft nicht gleichgültig sein, wo und bei wem die Bevölkerung sich diese Bedürfnisse erfüllt. Der Staat braucht für diese anspruchsvollen Aufgaben vertrauenswürdige Partner, welche diese Arbeit auf einem hohem Niveau leisten können. Denn es ist nicht einerlei, ob sich ein Mensch in seiner Sinnsuche an einen Theologen wendet, an einen esoterischen Zirkel oder an eine radikal-fundamentalistische Gruppierung.
Noch ist es nicht so weit, dass der Staat sich aus religiösen Fragen völlig zurückzieht, aber es ist zu befürchten, dass die erste Scheibe der taktischen Salami angeschnitten ist.
Wenn sich die Kirche in dieser Diskussion nicht auf ihr ureigenstes Spezifikum und ihre besonderen Kompetenzen beruft und diese in selbstsicherer Art verteidigt, wird sie irgendwann ein ersetzbares Rädchen in der Maschinerie der Gesellschaft werden und ihre gesellschaftliche Relevanz immer mehr verlieren.
Die Zitate stammen aus der Präsentation des Berichts des Regierungsrates über das Verhältnis von Kirche und Staat im Kanton Bern anlässlich der Medienkonferenz vom 27.3.2015, siehe http://www.be.ch/portal/de/index/mediencenter/medienmitteilungen.assetref/dam/documents/portal/Medienmitteilungen/de/2015/03/2015-03-27-kirche-staat-referat-rr-neuhaus-mayer-de.pdf.
Das erwähnte Säulendiagramm habe ich dem „Bund“ vom 28.3.15 entnommen.
Ich verstehe die Überlegung sogar, würde aus meiner Perspektive allerdings bestreiten, dass diese Funktion der Religionsgemeinschaften eine wünschenswerte ist, denn aus meiner Sicht thematisieren sie zwar diese Fragen natürlich unbestreitbar, führen dabei aber in die Irre und helfen insofern nicht bei der Suche der Menschen, sondern schaden ihnen sogar durch die Illusion, Antworten gefunden zu haben.
Insofern ist das Gegenargument fast das gleiche wie beim ersten, nur stärker: Das können andere.
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Ja, aber auch Fragen können ja in die Irre führen.
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Aus beruflichen Gründen war ich an der Medienorientierung der Regierung und dem anschliessenden Point de presse der Landeskirchen anwesend. Die Dokumente liegen alle auf meinem Schreibtisch und warten darauf, dass ich sie eingehend studiere. Das Gehörte und das bereits Gelesene haben mir als langjährige „Mitdenkerin“ in kirchlichen Angelegenheiten gezeigt, dass die Gegebenheiten sowohl für die Politisierenden als auch die Vertretenden der Reformierten Kirchen Bern-Jura-Solothurn (gehöre noch dazu) noch nie so herausfordernd waren wie jetzt. Wenn es den Protagonisten unserer Kirche gelingt, gegenseitige, persönliche Resentiments zurückzustellen, alte Schuhe auszuwechseln und den neuen Wind dort wehen zu lassen wo „düreglüftet“ werden muss, dann sehe ich für die Zukunft des Suchens und des Glaubens einen hellen Schein über uns leuchten. Welcher Kirche sich die Menschen nach 2020 – das ist der Zeitpunkt, den Regierungsrat Christoph Neuhaus für das Inkrafttreten des neuen Kirchen-Gesetztes genannt hat – dann nahe fühlen werden, ist persönlich. Relevant ist nach meinem Dafürhalten, dass die Kirchen, insbesondere unsere, während den Verhandlungen alles dafür geben wird, ihr Angebot für alle Generationen so mannigfaltig wie möglich aufrecht zu erhalten. Dies wird aber nur gelingen, wenn alle Kirchenvertretende MITEINANDER dafür kämpfen und nicht jede Gruppe versuchen wird, ihr eigenes Scherflein ins Trockene zu bringen. Ich bin überzeugt, dass die Szenenkennenden genau wissen was damit gemeint ist. Ich wage zu hoffen, dass es den Frauen und Männern die an vorderster Front verhandeln werden gelingen wird, die Position der Kirche (n) im Staat zu festigen.
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Oh liebe Nicole…wenn ich daran denke, dass der Präsident des Pfarrvereins während der Pressekonferenz dem Präsidenten des Synodalrates nach meinem Gespür ziemlich demonstrativ den Rücken zugekehrt hat….wird die Auseinandersetzung hüben und drüben mit Sicherheit spannend:) Wäre noch cool, wenn die KG Thierachern zu dem Thema „Kirche und Staat“ ein Podium organisieren könnte…so chli wie früecher:):):) Jetzt aber Osterpause bis Dienstag, ich gehe jetzt Eier färben…………
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