In dem Bergdorf, in dem ich früher Pfarrerin war, ging eines Winters eine Lawine nieder. Sie rutschte ein Bachbett hinunter und kam, gebremst durch eine Brücke, direkt vor der Dorfstrasse zum Stillstand. Dadurch gab es keine grösseren Schäden und es wurde auch niemand verletzt.
Kurz darauf war ich zu Gast in einem Gebetskreis. Dort wurde gebetet: „Danke, Gott, dass du mit deiner Hand genau am richtigen Ort die Lawine aufgehalten und unser Dorf verschont hast!“
Es tut mir leid, aber so etwas kann ich einfach nicht mitbeten. Mir kommen dazu sofort Fragen: Was ist mit anderen Lawinen, die nicht so glimpflich ausgegangen sind? Warum hat Gott da nicht mit seiner Hand eingegriffen? Wie war das kürzlich bei der Lawine auf das Hotel in den Abruzzen mit 29 Todesopfern? Oder mit dem grossen Tsunami 2005? Hätte Gott da nicht auch die Wellen mit seiner Hand aufhalten können? Und die Bomben und Drohnen, die fast täglich auf der Welt unschuldige Menschen töten? Könnte Gott die nicht auffangen? Oder hätte er Angst, sich dabei die Finger zu verbrennen? Oder liegt es einfach daran, dass zu wenig gebetet wurde?
Ein solches Gottesbild mag wohl vielen Menschen helfen, ihr Leben zu bewältigen. Das sei ihnen gegönnt. Aber ich kann es einfach nicht teilen. Mir ist es zu banal. Für mich hat Gott keine Hände, mit denen er hie und da mal eingreift – oder eben auch nicht. Für mich hat Gott keine Menschengestalt. Er hat keine Körperteile, mit denen er handelt, wie ein Mensch handelt.
Was mich daran so stört? Ich habe den Eindruck, mit diesem Gottesbild wird sich ein Gott je nach Bedürfnis zurechtgebogen. Es verstellt den Blick darauf, wer oder was Gott auch noch sein kann: Der/die/das ganz Andere, das, was viel grösser, umfassender und unbegreiflicher ist als alle Bilder, die wir uns von Gott jemals machen können.
Ich will Gott nicht einengen in ein menschengemachtes Bild, das auf diese Art immer unzureichend bleiben muss. Ich will offen bleiben, staunen und mich immer wieder überraschen lassen davon, was Gott ist und wie Gott in meinem Leben erfahrbar werden kann. Ich will die Unbegreiflichkeit Gottes manchmal eben auch unbegreiflich sein lassen. Dies auch, weil ich Respekt – und ja, auch so etwas wie Ehrfurcht habe vor diesem „Grösseren“, in dem ich mich aufgehoben wissen darf.
Was Gottes Hände betrifft, halte ich es lieber mit dem mittelalterlichen Gedicht, das Dorothee Sölle so gerne zitiert hat:
Christus hat keine Hände, nur unsere Hände, um Seine Arbeit heute zu tun. Er hat keine Füsse, nur unsere Füsse, um Menschen auf Seinen Weg zu führen. Christus hat keine Lippen, nur unsere Lippen, um Menschen von Ihm zu erzählen. Er hat keine Hilfe, nur unsere Hilfe, um Menschen an Seine Seite zu bringen…*
Ich glaube, wir haben noch viel zu tun.
*Zitiert nach: http://www.wallfahrten.ch/index.php/gebete1/jesusgebete/775-christus-hat-keine-haende
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