WEF 2018 – Gedankensplitter in einer zersplitterten Welt

Ich habe in den letzten Tagen die Berichterstattung über das WEF in Davos und den dortigen Trump-Besuch mitverfolgt. Was ich gesehen, gehört und gelesen habe, beschäftigt mich.

Ich masse mir keineswegs an, diese Ereignisse umfassend zu analysieren oder abschliessend zu beurteilen. Aber meine Beobachtungen haben bei mir diverse Eindrücke, Gedanken, Gefühle und auch Irritationen ausgelöst, die ich hier als „Gedankensplitter“ unzusammenhängend stehenlasse:

  • Trumps erklärtes Ziel dieser Reise sei es, viel Geld heimzubringen. „Es gibt viel Geld in diesem Land“. Er twittert wieder einmal, wie gross Amerika sei – und er selber.
  • Über die Ankunft Trumps wird in den Schweizer Medien berichtet, als ginge es um die Mondlandung. Viele Schaulustige aus ganz Europa sind angereist, um die Airforce One zu sehen. Auch einige Trump-Fans, gekleidet in Stars and Stripes, sind darunter.
  • Die sechs riesigen Helikopter am Schweizer Morgenhimmel wirken wie die Szene einer Invasion aus einem Science-Fiction-Film. Einen Moment lang kommt mir auch „Apokalypse Now“ in den Sinn.
  • In Davos wird keine Demonstrationsbewilligung erteilt, angeblich wegen „zuviel Schnee“. Dass der Schnee inzwischen geräumt wurde, hätte man nicht wissen können, entschuldigt sich der Landammann. Nein, sie seien nicht von den USA unter Druck gesetzt worden. Dann also vorauseilender Gehorsam?
  • Erlaubt sind lediglich Demonstrationen mit „höchstens fünf Personen, die untereinander 100 Meter Abstand haben“. Ich versuche mir eine solche Demonstration vorzustellen.
  • Die einzige Demo, die in Davos stattfindet, besteht aus zwei Personen mit Trump-Masken. Es wurde ihnen genau vorgeschrieben, wie sie diese Masken zu tragen haben.
  • Einheimische Passanten werden bis zu 20-mal angehalten und von der Polizei kontrolliert, manchmal auch in Polizeigewahrsam genommen, z.B. ein junger Mann mit Rasta-Locken. Ein Journalist der NZZ wird von der Polizei in Haft genommen, weil er Polizisten fotografiert hat und sich weigert, das Foto zu löschen.
  • Beim Betreten des Kongresszentrums wird Trump gefeiert wie ein Popstar. Er geniesst sichtlich das Bad in der Menge. Jemand hält ihm die Titelseite des „Blick“ unter die Nase, auf der in grossen Lettern steht: „Welcome Mr. President“. Trump gibt dem Chefredakteur ein Autogramm auf dessen Zeitung.
  • Die FDP-Politikerin Karin Keller-Suter, eine blonde, schlanke Frau, die als zukünftige Bundesrätin gehandelt wird, spricht kurz mit Trump, um eine Parlamentarier-Reise nach Washington abzumachen. Ich denke an Trumps Haltung gegenüber Frauen („Grab them by the…“) und frage mich, ob er in diesem Moment wohl auch solche Gedanken hat.
  • Paul Kagane, der Präsident Ruandas und als Vorsitzender der Afrikanischen Union ein Vertreter jener Länder, die Trump kürzlich als „Shithole-Countries“ bezeichnet hat, zeigt sich in einem Gespräch mit Trump unterwürfig, auch in seiner Körpersprache. Die Beleidigung ist kein Thema mehr, Journalistenfragen dazu werden ignoriert.
  • Protest kommt einzig aus Südafrika. Der Unternehmer Bonang Mohale hat Trump einen offenen Brief geschrieben und angekündigt, dass die südafrikanische Delegation der Rede Trumps fernbleiben wird.
  • Der Schweizer Bundespräsident Alain Berset, ein SP-Politiker, den ich bisher sehr geschätzt habe, zeigt sich nach einem 40-minütigen Gespräch von Trump „sehr angetan“. Vor Journalisten verteidigt er die „Amerika first“-Politik, denn jede Regierung engagiere sich schliesslich primär für ihr eigenes Land, das gelte doch auch für die Schweiz. Also jetzt auch: Switzerland first? Wenn jeder an sich selber denkt, ist an jeden gedacht. Diese Haltung kenne ich sonst eher von einer anderen Partei.
  • 15 Geschäftsleute dürfen mit Trump zu Abend essen. Trump sagt danach, er habe 15 neue Freunde gewonnen. Was sind das für Leute, welche Konzerne vertreten sie und was haben sie für Ziele?
  • Die Kirche von Davos liegt im Sperrgebiet und ist deshalb geschlossen. In der Nachbarkirche bietet die Kirchgemeinde ein abendliches „Schweigen und Beten“ an. Die Pfarrerin Hannah Thullen sagt, das Schweigen sei ein Kontrastprogramm zum WEF, wo „viel geredet und wenig zugehört“ werde. Gebetet wird für Opfer des Neoliberalismus und für Entscheidungsträger in Politik, Wirtschaft und Kirchen.
  • Trumps Schlussrede, ein reiner Werbespot für die USA, bezeichnen Journalisten anschliessend als „sanft“. Seine Tirade gegen die „Fake-News“-Medien wird nur beiläufig erwähnt. Es soll sogar einzelne Buh-Rufe gegeben haben.
  • Nur am Rande wird in den Medien die Tatsache erwähnt, dass der hochgelobte wirtschaftliche Aufschwung in den USA nicht Trump, sondern seinem Vorgänger zu verdanken ist.
  • Das Motto des WEF lautet dieses Jahr: „Erschaffen einer gemeinsamen Zukunft in einer zersplitterten Welt“. Mit der Schlussrede durch Trump wird dieses Motto endgültig ad absurdum geführt.
  • Bei der Abfahrt der Wagenkolonne mit Trump ruft ein Polizist, es solle ja niemand über die Strasse gehen. „Die Autos halten nicht an. Sie machen platt, was sich ihnen in den Weg stellt.“ Passt.

Um es abschliessend klarzustellen: Ich finde es sehr wohl richtig, den gewählten Präsidenten der USA würdig zu empfangen. Das sind die Regeln der Diplomatie. Aber bei Trumps Erscheinen war von der vorherigen kritischen Haltung ihm gegenüber nichts mehr zu spüren. Das unterwürfige Hofieren hat Trump innen- und aussenpolitisch gestärkt.

Mit dem Einschwenken auf Trumps Egozentrik haben Werte wie Solidarität, Menschenrechte, Gerechtigkeit, Frieden, Ökologie und das gemeinsame Angehen globaler Probleme keine Chance mehr. Es geht plötzlich allen nur noch darum, auf den „America first“-Zug aufzuspringen. Ziel ist dabei nicht, die Welt zu verbessern, sondern es geht einzig um Business und Cash.

Ich hätte mir gewünscht, dass man Trump vor den Augen der Weltöffentlichkeit etwas kritischer begegnet und seinem Chauvinismus andere Werte entgegensetzt. Doch was jetzt zurückbleibt, sind nur noch Splitter in einer immer mehr zersplitternden Welt.

P.S.: Nur ganz zufällig habe ich mitbekommen, dass auch Friedensnobelpreisträgerin Malala Yousafzai in Davos war, mit einer ganz anderen Botschaft. Aber die ist leider vor lauter Getrumpel fast untergegangen.

https://www.weforum.org/agenda/2018/01/malala-yousafzai-in-davos-we-need-to-teach-boys-to-be-men/?utm_content=buffer4ce23&utm_medium=social&utm_source=twitter.com&utm_campaign=buffer

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Gesegnet in das neue Jahr

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Auch dieses Jahr verbrachte ich zum Jahreswechsel wieder drei Tage alleine in den Bündner Bergen. Ich brauche diesen Kurzurlaub, um mich von den anstrengenden Weihnachtstagen zu erholen, dem drohenden „Feiertagskoller“ zu entfliehen und zum Übergang der Zeiten einfach mal ganz für mich zu sein. Und nicht zuletzt um eine Gegend zu besuchen, die für mich so etwas wie eine „Herzensheimat“ ist.

Neben der Zugfahrt hin und zurück, die für mich ebenfalls schon Urlaub bedeutet, konnte ich in den zwei Tagen Aufenthalt vieles unternehmen: mich von der Rhätischen Bahn durch die Kehrtunnels schaukeln lassen, die „längste Schlittelbahn Europas“ herunterschlitteln, eine Zeitreise zum schwindenden Morteratschgletscher unternehmen, natürlich wellnessen und abends im Hotelzimmer Rück- und Vorschau auf das alte und das neue Jahr halten.

Den eindrücklichsten Moment erlebte ich jedoch bei einer meiner Wanderungen durch die Winterlandschaft der Albula-Region. Im Weiler Stuls, der nur aus wenigen Häusern besteht, gelangte ich zu einem kleinen Kirchlein, das ursprünglich ein Oratorium, also ein Gebetsraum für durchziehende Wanderer war. Von aussen sieht es zwar klein und unscheinbar aus, in seinem Inneren birgt es jedoch unermessliche Schätze: Die Seitenwände und die Decke sind rundum mit wunderschönen Fresken ausgemalt. Die Bilder aus dem 14. Jahrhundert haben eine starke Ausdruckskraft. Sie vermitteln uns etwas von der mittelalterlichen Spiritualität, zu deren Tiefe und Unmittelbarkeit wir in der heutigen Zeit kaum noch Zugang haben.

Die Darstellungen erzählen aus dem Leben Jesu; vor allem die Passionsgeschichte nimmt grossen Raum ein. Zu sehen ist Jesus, der beim Abendmahl dem Judas das Brot reicht (Jesu Zuwendung gilt dem Menschen, der sie in seiner Gebrochenheit am meisten nötig hat), der die Geisselung und den Gang zum Kreuz mit grosser Sanftmut erträgt und der schliesslich nach seinem Tod von seinen Getreuen mit inniger Zärtlichkeit vom Kreuz genommen und betrauert wird.

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Das Eindrücklichste ist jedoch das Deckengemälde. In der Rundung des Gewölbes thront Christus in der regenbogenfarbigen Mandorla, die Hand zum Segen erhoben.

Obwohl ich die biblischen Geschichten bereits zur Genüge durchexegetisiert und schon zahlreiche Darstellungen davon gesehen habe, berühren mich die Bilder in der Kirche Stuls zutiefst. In diesem kleinen Raum, der mit seinem Tonnengewölbe eine tiefe Geborgenheit vermittelt, erlebte ich einen spirituellen Moment. Die Bilder brachten etwas tief in meinem Innersten in Schwingung, das ich mit Worten nicht beschreiben kann. So blieb ich ein paar Minuten und liess den Geist dieses Raumes auf mich wirken.

Bevor ich mich schliesslich zum Gehen wandte, stellte ich mich ganz bewusst unter das Deckenbild mit dem segnenden Christus. Da bekam ich das Gefühl, dass der göttliche Segen mich zu umhüllen und durchdringen schien. Die Inschrift in der Chorwand erinnerte mich daran, dass die göttliche Kraft allzeit bei mir sein würde.

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So verliess ich die Kirche, konnte meinen Weg fortsetzen und gesegnet in das neue Jahr gehen.

Literatur und Bilder: https://desertina.ch/shop/index.php/produkt/heilende-bilder/