Gesegnet in das neue Jahr

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Auch dieses Jahr verbrachte ich zum Jahreswechsel wieder drei Tage alleine in den Bündner Bergen. Ich brauche diesen Kurzurlaub, um mich von den anstrengenden Weihnachtstagen zu erholen, dem drohenden „Feiertagskoller“ zu entfliehen und zum Übergang der Zeiten einfach mal ganz für mich zu sein. Und nicht zuletzt um eine Gegend zu besuchen, die für mich so etwas wie eine „Herzensheimat“ ist.

Neben der Zugfahrt hin und zurück, die für mich ebenfalls schon Urlaub bedeutet, konnte ich in den zwei Tagen Aufenthalt vieles unternehmen: mich von der Rhätischen Bahn durch die Kehrtunnels schaukeln lassen, die „längste Schlittelbahn Europas“ herunterschlitteln, eine Zeitreise zum schwindenden Morteratschgletscher unternehmen, natürlich wellnessen und abends im Hotelzimmer Rück- und Vorschau auf das alte und das neue Jahr halten.

Den eindrücklichsten Moment erlebte ich jedoch bei einer meiner Wanderungen durch die Winterlandschaft der Albula-Region. Im Weiler Stuls, der nur aus wenigen Häusern besteht, gelangte ich zu einem kleinen Kirchlein, das ursprünglich ein Oratorium, also ein Gebetsraum für durchziehende Wanderer war. Von aussen sieht es zwar klein und unscheinbar aus, in seinem Inneren birgt es jedoch unermessliche Schätze: Die Seitenwände und die Decke sind rundum mit wunderschönen Fresken ausgemalt. Die Bilder aus dem 14. Jahrhundert haben eine starke Ausdruckskraft. Sie vermitteln uns etwas von der mittelalterlichen Spiritualität, zu deren Tiefe und Unmittelbarkeit wir in der heutigen Zeit kaum noch Zugang haben.

Die Darstellungen erzählen aus dem Leben Jesu; vor allem die Passionsgeschichte nimmt grossen Raum ein. Zu sehen ist Jesus, der beim Abendmahl dem Judas das Brot reicht (Jesu Zuwendung gilt dem Menschen, der sie in seiner Gebrochenheit am meisten nötig hat), der die Geisselung und den Gang zum Kreuz mit grosser Sanftmut erträgt und der schliesslich nach seinem Tod von seinen Getreuen mit inniger Zärtlichkeit vom Kreuz genommen und betrauert wird.

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Das Eindrücklichste ist jedoch das Deckengemälde. In der Rundung des Gewölbes thront Christus in der regenbogenfarbigen Mandorla, die Hand zum Segen erhoben.

Obwohl ich die biblischen Geschichten bereits zur Genüge durchexegetisiert und schon zahlreiche Darstellungen davon gesehen habe, berühren mich die Bilder in der Kirche Stuls zutiefst. In diesem kleinen Raum, der mit seinem Tonnengewölbe eine tiefe Geborgenheit vermittelt, erlebte ich einen spirituellen Moment. Die Bilder brachten etwas tief in meinem Innersten in Schwingung, das ich mit Worten nicht beschreiben kann. So blieb ich ein paar Minuten und liess den Geist dieses Raumes auf mich wirken.

Bevor ich mich schliesslich zum Gehen wandte, stellte ich mich ganz bewusst unter das Deckenbild mit dem segnenden Christus. Da bekam ich das Gefühl, dass der göttliche Segen mich zu umhüllen und durchdringen schien. Die Inschrift in der Chorwand erinnerte mich daran, dass die göttliche Kraft allzeit bei mir sein würde.

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So verliess ich die Kirche, konnte meinen Weg fortsetzen und gesegnet in das neue Jahr gehen.

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Jeden Tag Geburtstag

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Ich habe im Dezember Geburtstag. Also mitten in der Adventszeit. In meiner Kindheit gab mein Geburtstag dem Advent noch einmal einen besonderen Glanz, machte die Zeit für mich noch spannender und schöner. Aber es gab auch Nachteile. Geschenke bekam ich nur im Dezember, kurz nacheinander oder auch „zum Geburtstag und zu Weihnachten zusammen“. Wünschte ich mir zu Beginn des Sommers ein neues Fahrrad, musste ich bis in den tiefsten Winter darauf warten. Meine Eltern waren da strikt.

Heute erlebe ich den Advent anders als früher, nämlich als sehr intensive und vor allem auch arbeitsreiche Zeit. Für Pfarrerinnen und Pfarrer ist im Dezember aus wohl bekannten Gründen Hochbetrieb. Auch für Familienmütter und –väter ist die Zeit intensiv. Und da ich beide „Berufsgattungen“ in mir vereine, empfinde ich den Monat Dezember oftmals als besonders anstrengend.

Es war vor einigen Jahren, als ich an meinem Geburtstag besonders im Stress war. Den ganzen Tag war ich am Rotieren, hetzte von einem Termin zum anderen, fand kaum Zeit, um mit meinen Liebsten zusammen zu feiern, die sich trotzdem alle erdenkliche Mühe gaben.

Erst am Abend wurde mir bewusst, wie erschöpft ich war. Und ich dachte: Eigentlich schade, dass ich meinen Geburtstag nicht wirklich geniessen konnte. Und dann beschloss ich, das nachzuholen. Ich nahm mir vor, von jetzt an jeden Tag ein bisschen Geburtstag zu feiern. Ganz für mich alleine, nur ganz kurz, irgendeinen Moment lang innehalten, mir ein paar Minuten Ruhe gönnen, tief durchatmen und einfach den Augenblick geniessen und, ja, auch ein bisschen feiern.

Jeden Tag Geburtstag feiern, das heisst, mir jeden Tag das Geschenk des Lebens bewusst zu machen und dankbar dafür zu sein, dass ich auf der Welt bin. Und sei es auch nur, indem ich im allergrössten Stress in Ruhe eine Tasse Tee trinke.

„Was, sogar im allergrössten Stress???“, fragte mich eine Klientin ungläubig, als ich ihr in der Supervision genau dies erklärte. Ja, sogar im allergrössten Stress und gerade dann. Und wenn diese paar Minuten wirklich nicht aufzubringen sind – ich weiss, es gibt solche Tage – dann ist es zumindest wichtig, sehr aufmerksam mit sich selber umzugehen. Zwischendurch in sich hineinzuspüren mit der Frage: Was brauche ich, was braucht mein Körper, meine Seele, damit ich diesen Tag durchstehe? Damit es mir trotzdem noch gut geht? Auch das kann ein kleines bisschen Geburtstag bedeuten.

Ich wünsche euch allen einen wunderschönen Geburtstag. Jeden Tag.

 

„Du bist nichts…!“

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Auf der Insel Rügen, hinter einem wunderschönen Sandstrand, befindet sich einer der längsten Gebäudekomplexe der Welt. Es handelt sich um das von den Nationalsozialisten geplante „Seebad Prora“, eine Ferienanlage ihrer Freizeitorganisation „Kraft durch Freude“.

Der Komplex besteht aus acht aneinandergereihten Blöcken auf einer Länge von 4,5 km, dazu waren Wirtschaftsgebäude, eine Festhalle und ein riesiger Aufmarschplatz geplant. Gebaut wurde zwischen 1936 und 1939 im Rekordtempo. Dann wurden wegen des Krieges die Bauarbeiten gestoppt. Zurück blieben die Gebäude im Rohbau.

Die DDR baute einen Teil zur monumentalsten Kasernenanlage ihrer „Nationalen Volksarmee“ aus. 10 000 Soldaten waren hier gleichzeitig kaserniert. Das Gelände wurde zum militärischen Sperrgebiet.

Seit der Wiedervereinigung rottet der „Koloss von Prora“ vor sich hin. In einem Gebäudeteil wurde eine Museumsmeile eingerichtet, die sowohl an die Nazi- wie auch die DDR-Vergangenheit erinnert.

Der Gang durch das Museum war für mich beklemmend: Die erschlagende, düstere Architektur, der muffelige Geruch und das Beispiel eines KdF-Ferienzimmers, das eher an eine Gefängniszelle erinnert, bedrückten mich. Auch die Ausstellung von NVA-Uniformen und -Waffen liessen meine Stimmung nicht gerade aufhellen. Und im „Wiener Kaffee“ im obersten Stock mochte mir trotz Strausswalzer und Sachertorte nicht wirklich wienerisch zumute werden, ich wähnte mich eher im falschen Film.

Doch das Erschütterndste an Prora ist, dass man hier eine Ahnung davon bekommt, wie die deutsche Gesellschaft ausgesehen hätte, wenn die Nazis den Krieg gewonnen und ihre Vorstellungen vom „Tausendjährigen Reich“ hätten verwirklichen können. 20 000 Menschen sollten hier gleichzeitig ihre Ferien verbringen, jeweils 10 Tage lang. Jeder Ferientag wäre minutiös durchgeplant gewesen: 6.20 Uhr aufstehen, 6.30 Uhr Frühsport. Nach dem Frühstück Besammlung zur ersten Propagandaveranstaltung. Zwischendurch etwas Freizeit. In jedem der spartanisch eingerichteten Zimmer ein Lautsprecher, um die Urlauber mit „Reden des Führers“ zu beschallen. Die Ferien in Prora sollten vor allem der Propaganda dienen sowie die Leistungsfähigkeit des „Deutschen Arbeiters“ erhalten und steigern.

Der Zugriff auf den Menschen ist total. Der einzelne Mensch verschwindet völlig in der Masse und zählt nichts mehr. Das Individuum löst sich auf in einem „Volkskörper“. Hier wird eine Ideologie sicht- und greifbar, die in dem Propagandasatz gipfelt: „DU BIST NICHTS, DEIN VOLK IST ALLES!“

Heute ist Prora einer der wenigen Orte, in denen sowohl die Nazizeit als auch die DDR-Vergangenheit präsent sind. Doch inzwischen haben clevere Investoren in den unverwüstlichen Gebäuden eine wahre Goldgrube entdeckt. Gebäudeteile wurden verkauft und ausgehöhlt, um darin Ferienwohnungen einzubauen. Eine Jugendherberge und ein Luxushotel existieren bereits. Natürlich erinnert dort nichts mehr an die Vergangenheit. Man will ja den Urlaubern nicht die Ferienstimmung vermiesen.

Doch ob die Geister zweier Diktaturen sich gänzlich aus dieser erdrückenden Architektur werden vertreiben lassen, wage ich zu bezweifeln. Zu sehr atmen diese Gemäuer Totalität und Unterdrückung, die Gleichschaltung des Menschen im Dienste von menschenverachtenden Ideologien. Urlaub und Erholung werden hier nur zum Preis des Ignorierens und Verdrängens zu haben sein.

Irgendwann wird in Prora nichts mehr an die Vergangenheit erinnern. Das Museum wird schliessen. Der Erhalt einzelner Gebäudeteile in seiner ursprünglichen Grässlichkeit wird wohl an den Finanzen scheitern. Das ist tragisch. Denn Prora ist ein eindrückliches Mahnmal gegen das Vergessen. Und so etwas ist heute wieder nötiger denn je.

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Alleine unterwegs sein

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Als ich vor einigen Jahren am Rande einer Erschöpfungsdepression eine Therapeutin aufsuchte, fragte sie mich als Erstes, was ich am liebsten mache. Ganz spontan sagte ich: „Alleine unterwegs sein.“. Ich staune heute noch über diese Antwort, die völlig unüberlegt aus dem Bauch heraus kam. Im nächsten Moment kamen mir die Tränen, weil ich plötzlich eine tiefe Sehnsucht empfand, alleine unterwegs zu sein, was mir damals als berufstätige Mutter zweier kleiner Kinder fast nie möglich war.

Alleine unterwegs zu sein, bedeutet in meinem Fall, mit dem öffentlichen Verkehr, am liebsten mit dem Zug, durch die Gegend zu fahren. Unterwegs habe ich Zeit und Ruhe, kann die Landschaft an mir vorbeiziehen lassen, durch die Ohrstöpsel meine Lieblingsmusik hören, ein gutes Fachbuch lesen oder einfach meinen Gedanken nachhängen – Dinge, für die ich im normalen Alltag meistens keine Zeit habe.

Besonders wichtig ist es, dass ich beim Unterwegssein alleine bin. Natürlich habe auch ich gerne Geselligkeit, gute Gespräche und freundschaftliche Begegnungen. Aber wenn ich alleine unterwegs bin, bin ich in einer ganz besonders intensiven Weise ganz nah bei mir selber wie in sonst keiner anderen Situation.

Während ich heute hauptsächlich in der beschaulichen Schweiz mit den meist zuverlässigen Verkehrsmitteln unterwegs bin, hatte es für mich als Jugendliche einen besonderen Reiz, mit der S- Bahn durch Frankfurt zu fahren. Das gab mir damals so ein Gefühl von Freiheit und Erwachsensein. Später, als Studentin, war ich auf diese Art in Rom und Paris unterwegs. Das Benutzen der Metro oder anderer öffentlicher Verkehrsmittel gibt mir jeweils das Gefühl, in eine Stadt ganz einzutauchen. Auf diese Art nehme ich am Stadtleben teil, während ich mich in einem Auto in einer Blechkiste isoliert fühle.

Dazu gehört auch die Herausforderung, mich alleine zurecht zu finden, mit Metro- und Stadtplan jeweils herauszufinden, welche Linie ich nun nehmen muss und mir auf diese Art eine fremde Stadt ein Stück weit anzueignen. Es gibt mir jeweils Selbstvertrauen, mich auf diese Art alleine zurechtzufinden.

Mit Trekkingsandalen zu Fuss alleine durch Rom, Paris, Jerusalem, Bombay oder wie kürzlich durch Palermo zu schlendern, ist dann jeweils die Krönung des Alleine- Unterwegs-Seins.

Doch kürzlich stand ich vor einer ganz besonderen Herausforderung: Zum ersten Mal alleine zu fliegen! (Weltenbummler, für die es selbstverständlich ist, dauernd um den Globus zu jetten, sollten jetzt aufhören zu lesen). Nicht, dass ich Flugangst hätte. Im Gegenteil, ich fliege eigentlich gerne, wenn die Maschine erst mal in der Luft ist. Aber das ganze Prozedere an den Flughäfen macht mich nervös: Rechtzeitig dort sein, den richtigen Check-in-Schalter finden, die Umständlichkeiten bei der Sicherheitskontrolle (habe ich nicht doch ein Taschenmesser im Rucksack?), pünktlich am richtigen Gate sein und aufpassen, dass die Gatenummer nicht im letzten Moment noch ändert (statt nach Palermo wäre ich fast nach Athen geflogen). Erschwerend kam in diesem Fall hinzu, dass das Konzert, das der Grund meiner Reise war, noch am selben Abend stattfinden sollte und ich mit der Alitalia unterwegs war, die ja eigentlich pleite ist. Da ich in Rom umsteigen musste, war ich auf die Zuverlässigkeit von gleich zwei Flügen angewiesen. (Der alte Witz kam mir wieder in den Sinn: Warum küsst der Papst den Boden? – Weil er mit der Alitalia geflogen ist).

Es ging schliesslich alles gut, ausser dass ich bei der Gepäckausgabe eine längere Schrecksekunde hatte: Mein Koffer war nicht auf dem Laufband! Das Schild mit dem Hinweis, dass Personen aus Ländern ausserhalb der EU ihre Koffer an einem anderen Band abholen sollten, hatte ich zwar registriert. Aber ich brauchte einige Minuten, um zu merken, dass ich als Schweizerin ja auch davon betroffen war, da es ja EU hiess und nicht Europa! Vielleicht wäre das nicht passiert, wenn noch ein zweiter Kopf mitgedacht hätte. Aber auch nur vielleicht.

Jedenfalls bin ich stolz darauf, diese Herausforderung gemeistert zu haben und freue mich, dass ich nun eine neue Variante des Alleine-Unterwegsseins in meinem Repertoire habe.

 

„Sex & Gott & Rock’n’Roll“ – eine Rezension

Die Romantrilogie „Sex & Gott & Rock’n’Roll“ erzählt die bewegte Geschichte von Jeannie und Johnny, die sich über mehrere Jahrzehnte erstreckt (ich beziehe mich hier auf die gesamte Trilogie).

Jeannie und Johnny sind durch eine tiefe Liebe miteinander verbunden, können dennoch nicht wirklich als Paar zusammen sein und kommen doch ihr Leben lang nicht voneinander los.

Das Buch begleitet Jeannie und Johnny fast durch ihre ganze Lebensgeschichte hindurch, angefangen mit ihrer Kindheit in den 50er/60er Jahren über die Jugendzeit in den 70ern, es endet in unserer Gegenwart im Alter von 60 Jahren. Dazwischen finden sich bewegte Jahrzehnte voller Höhen und Tiefen, tiefer Liebe und dramatischen Trennungen, intensiv empfundenen Glückes und abgrundtiefer Verzweiflung, Seelenverwandtschaft und innerer Zerrissenheit.

Der Titel „Sex & Gott & Rock’n’Roll“ umschreibt sehr gut die drei thematischen Schwerpunkte des Werkes: Liebe und Sexualität, die spirituelle Sinnsuche und der jeweilige Zeitgeist. Ersteres dominiert das Buch teilweise, was ihm jedoch keinen Abbruch tut, denn die erotischen Szenen sind stets in schöner Sprache und respektvoll geschildert. Die beiden anderen Themen hätten dagegen ruhig noch etwas mehr zum Zug kommen können. Das Thema Spiritualität bleibt inhaltlich teilweise etwas vage. Und neben der Erwähnung der Rockmusik der 70er Jahre (ich warte noch auf die CD zum Buch) wären noch weitere Seitenblicke auf den jeweiligen kulturellen und gesellschaftspolitischen Hintergrund interessant gewesen.

Als Leserin war ich von der ersten bis zur letzten Seite gefesselt, konnte zusammen mit Jeannie und Johnny mitleiden, hoffen, bangen, fühlen und trauern. Ihre Beweggründe und Handlungen waren für mich stets nachvollziehbar. Dazu trägt auch der flüssige, anschauliche Sprachstil bei. Bei der Qualität dieses Werkes ist es erstaunlich, dass Tilmann Haberer bislang nicht als Romanautor hervorgetreten ist, sondern als Autor theologischer Sachbücher (So ist z.B. das Buch „Gott 9.0“, das er zusammen mit Marion und Werner Küstenmacher geschrieben hat, ebenfalls sehr lesenswert). Der theologische Hintergrund des Autors wird im Buch auf unaufdringliche, aber bereichernde Art spürbar.

Das Werk „Sex & Gott & Rock’n’Roll“ ist viel mehr als nur ein Liebesroman. Es ist ein Buch über das Leben mit all seinen Facetten, auch vor den Themen Krankheit, Alter und Tod macht es nicht Halt. Ich wünsche mir noch mehr solcher Bücher und hoffe, Tilmann Haberer schreibt weiter.

 

 

 

 

 

 

Wie sieht Ostern aus?

Mal ganz ehrlich: Was denken Sie als Erstes, wenn Sie das Wort Ostern hören? Welche Bilder und Assoziationen kommen Ihnen ganz spontan zu diesem Begriff in den Sinn?

Ich vermute, es sind die Ostereier. Mir ging es jedenfalls lange Zeit so. Das grosse O am Anfang dieses Wortes erinnert ja auch an ein Osterei. Vielleicht denkt man ja auch an Osterhasen, Osterdekorationen mit farbigen Frühlingsblumen, nach einem langen Winter sieht man grünes Gras und Osterglocken vor dem inneren Auge. Oder man denkt an einen österlichen Brunch mit leckeren Speisen und dem vergnüglichen Eiertütschen. Aber die wenigsten Menschen werden bei diesem Wort als Erstes an die Auferstehung Jesu denken.

Das ist auch verständlich. Denn das, was wir an Ostern eigentlich feiern, nämlich die Auferstehung Jesu von den Toten, kann man sich nicht so leicht bildlich vorstellen.

Mit Weihnachten ist es etwas anders: Zwar hat auch der Weihnachtsbaum mit der biblischen Weihnachtsgeschichte herzlich wenig zu tun, aber wenigstens gibt es die Weihnachtskrippe und Krippenspiele, welche diese Geschichte anschaulich machen. Die Weihnachtsgeschichte wird auch sonst auf vielerlei Art dargestellt und nacherzählt, so dass die meisten Menschen einen inneren Bezug herstellen können zwischen dem Fest und der biblischen Überlieferung, die dem zugrunde liegt.

Was hingegen Ostern betrifft, so ist zu befürchten, dass mit der Zeit immer weniger Menschen wissen, was da eigentlich gefeiert wird. Nein, es ist nicht ein Frühlingsfest. Nein, es geht hier nicht um die Ostereier und Osterhasen. Auch nicht um den Brauch des Eiertütschens und Brunchens, auch nicht darum, dass man da ein paar Tage frei hat, um nochmal auf die Skipiste zu gehen oder ins Tessin (und auch der Stau am Gotthard hat mit Ostern ursprünglich nichts zu tun). Alles das gehört zwar inzwischen auch dazu, ist aber nicht der eigentliche Sinn dieses Festes.

Das Problem ist, dass die Auferstehung Jesu nicht so leicht abzubilden ist wie die Krippenszene aus der Weihnachtsgeschichte.

Das liegt in der Natur der Sache. Auch in der Bibel wird die Auferstehung nicht direkt beschreiben, es gibt davon keine Augenzeugenberichte. Das einzige Zeugnis davon ist das leere Grab, das Maria von Magdala und „die andere Maria“ am frühen Morgen des dritten Tages nach der Kreuzigung entdecken. Auch in der Kunst gibt es wenige Bilder, welche die Auferstehung darzustellen versuchen.

Wie können wir nun Ostern mit der Auferstehung verbinden? Wie kann man die Bedeutung von Ostern sichtbar und erfahrbar machen?

Die kirchliche Tradition hat viele Bräuche und Rituale entwickelt, um mit Symbolen den Sinn des Osterfestes verständlich zu machen.

Sehr alt ist die Tradition der Nachtwache. Wegen der Entdeckung des leeren Grabes Jesu „früh am Morgen, als eben die Sonne aufging“ ist die Morgenröte im Christentum Symbol der Auferstehung. Die Canones Hippolyti  (um 350) gaben daher für die Osternacht die Weisung: „Alle sollen daher bis zur Morgenröte wachen, dann ihren Leib mit Wasser waschen, bevor sie Pascha feiern, und das ganze Volk sei im Lichte“.

Im 12. Jahrhundert leitete man den Begriff Ostern von Osten ab, der Himmelsrichtung des Sonnenaufgangs. Der Ort der aufgehenden Sonne galt als Symbol des auferstandenen und wiederkehrenden Jesus Christus. Viele neue Christen ließen sich damals bei Sonnenaufgang am Ostermorgen taufen.

Aus diesem Brauchtum haben sich die Osterfrühfeiern und die Osternachtsfeiern entwickelt, die heute auch bei uns Reformierten in vielen Kirchgemeinden gefeiert werden. Dabei wird auf dem Friedhof ein Osterfeuer entzündet als Symbol für die Auferstehung, für das Leben inmitten des Todes. In diesem Zusammenhang steht auch der Brauch der Osterkerze. Diese wird mit einer Flamme des Osterfeuers entzündet. So gelangt das Licht der Auferstehung in die Kirche. Die Osterkerze brennt dann in jedem Gottesdienst des Kirchenjahres. Bei Tauffeiern entzündet man an ihrer Flamme die Taufkerze, am Ewigkeitssonntag wird für jeden Verstorbenen eine Kerze daran angezündet, um die Hoffnung der Auferstehung zum Ausdruck zu bringen. Auf diese Art wird die Präsenz des Auferstandenen bei allen gottesdienstlichen Anlässen sichtbar gemacht.

Ich wünsche Ihnen ein schönes Osterfest, viel Freude am Eiertütschen – und vergessen Sie dabei nicht, was Ostern wirklich bedeutet.

Dieser Text erschien im April 2017 als Editorial in der Kirchenzeitung „Reformiert“.

Die Hand Gottes

In dem Bergdorf, in dem ich früher Pfarrerin war, ging eines Winters eine Lawine nieder. Sie rutschte ein Bachbett hinunter und kam, gebremst durch eine Brücke, direkt vor der Dorfstrasse zum Stillstand. Dadurch gab es keine grösseren Schäden und es wurde auch niemand verletzt.

Kurz darauf war ich zu Gast in einem Gebetskreis. Dort wurde gebetet: „Danke, Gott, dass du mit deiner Hand genau am richtigen Ort die Lawine aufgehalten und unser Dorf verschont hast!“

Es tut mir leid, aber so etwas kann ich einfach nicht mitbeten. Mir kommen dazu sofort Fragen: Was ist mit anderen Lawinen, die nicht so glimpflich ausgegangen sind? Warum hat Gott da nicht mit seiner Hand eingegriffen? Wie war das kürzlich bei der Lawine auf das Hotel in den Abruzzen mit 29 Todesopfern? Oder mit dem grossen Tsunami 2005? Hätte Gott da nicht auch die Wellen mit seiner Hand aufhalten können? Und die Bomben und Drohnen, die fast täglich auf der Welt unschuldige Menschen töten? Könnte Gott die nicht auffangen? Oder hätte er Angst, sich dabei die Finger zu verbrennen? Oder liegt es einfach daran, dass zu wenig gebetet wurde?

Ein solches Gottesbild mag wohl vielen Menschen helfen, ihr Leben zu bewältigen. Das sei ihnen gegönnt. Aber ich kann es einfach nicht teilen. Mir ist es zu banal. Für mich hat Gott keine Hände, mit denen er hie und da mal eingreift – oder eben auch nicht. Für mich hat Gott keine Menschengestalt. Er hat keine Körperteile, mit denen er handelt, wie ein Mensch handelt.

Was mich daran so stört? Ich habe den Eindruck, mit diesem Gottesbild wird sich ein Gott je nach Bedürfnis zurechtgebogen. Es verstellt den Blick darauf, wer oder was Gott auch noch sein kann: Der/die/das ganz Andere, das, was viel grösser, umfassender und unbegreiflicher ist als alle Bilder, die wir uns von Gott jemals machen können.

Ich will Gott nicht einengen in ein menschengemachtes Bild, das auf diese Art immer unzureichend bleiben muss. Ich will offen bleiben, staunen und mich immer wieder überraschen lassen davon, was Gott ist und wie Gott in meinem Leben erfahrbar werden kann. Ich will die Unbegreiflichkeit Gottes manchmal eben auch unbegreiflich sein lassen. Dies auch, weil ich Respekt – und ja, auch so etwas wie Ehrfurcht habe vor diesem „Grösseren“, in dem ich mich aufgehoben wissen darf.

Was Gottes Hände betrifft, halte ich es lieber mit dem mittelalterlichen Gedicht, das Dorothee Sölle so gerne zitiert hat:

Christus hat keine Hände, nur unsere Hände, um Seine Arbeit heute zu tun. Er hat keine Füsse, nur unsere Füsse, um Menschen auf Seinen Weg zu führen. Christus hat keine Lippen, nur unsere Lippen, um Menschen von Ihm zu erzählen. Er hat keine Hilfe, nur unsere Hilfe, um Menschen an Seine Seite zu bringen…*

Ich glaube, wir haben noch viel zu tun.

*Zitiert nach: http://www.wallfahrten.ch/index.php/gebete1/jesusgebete/775-christus-hat-keine-haende

Weisse Tauben

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Als ich vor über 15 Jahren an meinen jetzigen Wohnort zog, fiel mir schon nach ein paar Tagen ein Schwarm Vögel auf, der über den Dächern dieser Gegend seine Kreise zog.

Schon bald erfuhr ich, was es damit auf sich hatte: Es waren weisse Brieftauben, die gegenüber der Kirche ihren Taubenschlag hatten. Die Tauben gehörten Werner, einem liebenswürdigen alten Mann.

Werner war bei vielen Leuten im Dorf bekannt. Er war viel draussen unterwegs, werkelte immer irgendwo herum, mähte bei der Kirche und auf dem Friedhof den Rasen und kümmerte sich mit Hingabe täglich um seine Tauben. Die Tauben waren sein Ein und Alles.

Werner war ein durch und durch lieber Mensch. Er wirkte immer gut gelaunt, hatte stets ein freundliches Wort auf den Lippen, war meistens zu einem Schwatz aufgelegt und hätte keiner Fliege etwas zuleide tun können.

Täglich konnte man ihn auf seinem „Töffli“* durchs Dorf fahren sehen. Er brachte seine Tauben zu Hochzeiten und Konfirmationen in der Region, damit man sie dort in einem feierlichen Akt fliegen lassen konnte.

Den Tauben kommt in der jüdisch-christlichen Tradition eine besondere Bedeutung zu. In der Sintflutgeschichte ist es eine Taube, die mit einem Ölzweig im Schnabel den Menschen anzeigt, dass die Wassermassen nun zurückgehen, dass sie bald trockenes Land werden betreten können, dass das Leben auf der Erde also weitergehen wird. Die Taube ist ein starkes Symbol der Hoffnung. Daraus wurde später die Friedenstaube abgeleitet.

Daran denke ich fast täglich, wenn ich aus dem Fenster schaue und draussen die Tauben kreisen sehe. Dieser Anblick lässt mich im Alltag oft einen Moment lang innehalten.

Gestern musste ich Werner beerdigen. Vor einer Woche fand man ihn leblos neben seinem Taubenschlag liegen. Beim Rasenmähen hatte er einen plötzlichen Herzschlag erlitten. Jede Hilfe war zwecklos. Trotz seines hohen Alters hatte sich Werner bis zum Schluss seinen geliebten Tauben widmen können. Er starb bei der Tätigkeit, die er am liebsten machte.

Bei seiner Beerdigung war die Kirche voll bis auf den letzten Platz. Das halbe Dorf war gekommen, um Werner die letzte Ehre zu erweisen. Viele Leute sagten, solche Menschen wie Werner sollte es noch mehr auf der Welt geben.

Auf dem Friedhof bei seinem Grab flogen seine Tauben noch einmal in den Himmel. Sie flatterten kurz über die Gräber, zogen einen Kreis um den Kirchturm und verschwanden in der Ferne. Es war ein berührender Moment.

Die weissen Tauben werden unser Dorf nun verlassen. Ich werde sie sehr vermissen.

*Schweizerdeutscher Ausdruck für Moped

Nachtrag: Die Tauben sind doch geblieben! Werners Sohn hat sie übernommen. Nun denke ich jedesmal an Werner, wenn ich sie fliegen sehe.

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Inshallah

Über den Musiker Sting ergiesst sich ein Shitstorm, weil er im Bataclan ein Lied gesungen hat mit dem Titel „Inshallah“. Durch das Verwenden dieses islamischen Begriffes habe er die Terroropfer ein zweites Mal getötet, lautet eine von vielen Stimmen auf Twitter.

Doch im Text dieses Liedes geht es weder um Islamismus noch um Terrorismus. Es geht um eine Flüchtlingsfamilie in einem Boot auf dem Meer, die um ihr Überleben bangt. Das Wort Inshallah („So Gott will“) soll die Angst und gleichzeitig die Schicksalsergebenheit dieser Menschen zum Ausdruck bringen. Sie hoffen auf Rettung und wissen sich unter Gottes Macht stehend. Sie sind bereit, sich seinem Willen zu fügen.

Im arabischen Raum wird der Ausdruck „Inshallah“ häufig gebraucht, wenn von der Zukunft gesprochen wird. Bei Sätzen wie: „Morgen werde ich dieses und jenes tun…“ wird ein „Inshallah“ angefügt: „So Gott will“. Denn niemand weiss, was morgen wirklich sein wird. Menschen können ihre Pläne machen, doch deren Verwirklichung liegt nicht immer in ihrer eigenen Hand. Das Wort Inshallah ist Ausdruck grösster Frömmigkeit und Demut.

Im Wort „Inshallah“ ist das Wort „Allah“ enthalten. Zur Erinnerung: „Allah“ bedeutet nichts anderes als „Gott“. Es handelt sich wohlgemerkt um den gleichen Gott bei Juden, Christen und Muslimen. Auch in der arabischen Übersetzung der Bibel wird der Begriff „Allah“ für Gott verwendet.

Sind wir nun schon so weit gekommen, dass die blosse Erwähnung des arabischen Gottesnamens als terroristisch empfunden wird? Darf man dieses Wort nun nicht mehr aussprechen, bloss weil ein paar Extremisten diesen Begriff aufs Übelste missbraucht haben? Zählt die grosse Mehrheit der Muslime auf der Welt nichts mehr, die einfach auf friedliche Art ihren Glauben leben?

Die Wahrnehmung ist längst getrübt. Alles, was irgendwie nach Islam klingt, wird ohne Unterschied mit Extremismus, Gewalt und Terrorismus gleichgesetzt.

Ich frage mich, wie unter diesen Umständen ein friedliches und tolerantes Zusammenleben zwischen Menschen verschiedenen Glaubens noch möglich sein soll.

Wenn ein Musiker in einem Text nicht einmal mehr ein arabisches Wort verwenden darf, dann haben die Terroristen ihr Ziel bereits erreicht.

Das Lied „Inshallah“ auf Youtube:  https://youtu.be/pWkRVoi6F48

Der Text kann hier nachgelesen werden: http://www.azlyrics.com/lyrics/sting/inshallah.html

Wasser-Wege

Ich liebe das Wasser. Jetzt im Hochsommer nutze ich jede Gelegenheit, um möglichst oft irgendwo zu baden. Da ich in einer Gegend wohne, in der es viel Wasser gibt, habe ich glücklicherweise viele Möglichkeiten dazu: Wahlweise im See, im Fluss oder auch in der dorfeigenen „Badi“.

Genauso sehr wie den Aufenthalt im und am Wasser geniesse ich auch die Fahrt mit dem Fahrrad an den See und zurück. So habe ich zweierlei Bewegung und dazu auch noch ein schönes Landschaftserlebnis.

Erst neulich ist mir aufgefallen, warum ich diesen Weg ans Wasser so liebe. Weil er nämlich nicht nur zum Wasser hinführt, sondern fast den ganzen Weg am Wasser entlang: Am See, am Fluss und an diversen kleineren Bächen.

Ich habe mal den Weg vom See nach Hause mit dem Handy dokumentiert.

Weil ich zwar an einem schönen Ort wohne, aber leider nicht direkt am Wasser, gibt es am Schluss ein paar Bilder von Feldwegen.

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Der tiefere Sinn dieses Blogs? Vielleicht gibt es keinen. Aber es ist einfach schön.