Diario Bolognese – Epilog

Was bleibt

„Was, du bist schon zurück?!?“ wurde ich in letzter Zeit manchmal bei Begegnungen gefragt. Ich habe dann erklärt, dass ich meine Tagebuchaufzeichnungen erst nachträglich zu einem Reiseblog verarbeitet habe.

Nun ist mein Bologna-Aufenthalt bereits über sechs Wochen her. Die kreative Aufarbeitung der einzelnen Tage, die Ausformulierung der Beiträge, das Versehen der Texte mit Fotos und teilweise auch mit Musik-Links waren für mich eine schöne Rückschau auf meine Italien-Reise. So konnte ich das Erlebte Tag für Tag noch einmal nacherleben und so manches Mal auch wieder nachfühlen. Teilweise war dies für mich mit intensiven Gefühlen verbunden. So war ich beispielsweise tief berührt, als ich bei der Bearbeitung des Beitrages „L‘ultimo volo“ vom 7. Tag das dazu passende Musikvideo auswählte, oder als ich für den 12. Tag das Lied „Giulio“ mit dem weinenden Roberto Vecchioni anschaute, nachdem ich das Schicksal des jungen Mannes beschrieben hatte.

 

Durch das kreative Nacharbeiten wird diese Reise mit ihren vielen Eindrücken für mich noch lange Zeit in intensiver Erinnerung bleiben. Und wenn die Erinnerungen mal verblassen sollten, kann ich sie ja wieder nachlesen.
Dabei fand ich es besonders schön, meine Gedanken und Erlebnisse mit Anderen zu teilen und zu merken, dass manche Leute offenbar Freude daran haben, sie zu lesen. An dieser Stelle danke ich allen, die meine Beiträge mitverfolgt und manchmal auch darauf reagiert haben. So habe ich das Gefühl, diese Reise nicht ganz allein gemacht zu haben.

Was bleibt?
Vieles. Die Erfahrung, mich in einer fremden Gegend alleine zurechtzufinden, die Begegnung mit Menschen aus Italien und anderen Weltgegenden, das Eintauchen in den italienischen Alltag, die Herausforderung, mich in einer fremden Sprache zu verständigen, das Berührtwerden von uralter kirchlicher Kunst und die Konfrontation mit den Opfern von Gewalt (sowie mit den Versuchen, die Schuld zu vertuschen). Und auch die viele Musik, die mich durch diese Tage begleitet hat, vor allem von Lucio Dalla, Pippo Pollina und dem neu entdeckten Roberto Vecchioni. Diese Reise wäre viel ärmer gewesen ohne die Musik.

Und das Italienisch? – Ich werde dranbleiben, habe ich mir vorgenommen, sonst wäre das viele Lernen umsonst gewesen. Und wenn ich mich frage, wofür ich das eigentlich mache, fällt mir ein, dass ich ja irgendwann in den nächsten Jahren auch noch vier Monate Sabbatical zugute habe. So langsam strecke ich diesbezüglich meine Fühler in Richtung Italien aus. Mal sehen, was sich da so ergibt.
Schon sehr bald steht meine nächste Italienreise an, nur für wenige Tage und etwas weiter südlich…

019e4e905c5eb82f903caf1922fea26fd72521f3b1

 

Diario Bolognese – 9. Tag

San Luca

Im Italienischkurs haben wir auf heute die Aufgabe bekommen, über ein Buch oder einen Film mit Bezug zu Italien zu sprechen. Meine Wahl fiel spontan auf das Buch „Ich sollte der Nächste sein“ von Leoluca Orlando, dem Bürgermeister von Palermo. Dieses Buch hat mich sehr beeindruckt, als ich es vor ein paar Monaten gelesen habe.*
Die Lehrerin ist sehr erstaunt darüber, dass mich dieser Mann so interessiert. Sie selber scheint ihn kaum zu kennen. Nachdem ich aber meinen kurzen Vortrag über seinen Kampf gegen die Mafia und den von ihm eingeleiteten „Primavera di Palermo“ gehalten habe, fragt sie nach dem italienischen Originaltitel des Buches, sie möchte es gerne selber lesen.

Da das Wetter endlich besser geworden ist, steht heute Nachmittag der Ausflug zu San Luca an.

2019-04-16 16.00.36 (2)

Die Kirche San Luca liegt auf einem Hügel über Bologna. Der Weg dort hinauf führt durch den längsten Arkadengang der Welt, der fast 4 km lang ist und durch (ausgerechnet!) 666 Bögen gesäumt ist. Es ist ein Wallfahrtsort, da sich in der Kirche eine Madonnen-Ikone aus Konstantinopel befindet, die angeblich schon eine Regenzeit beendet haben soll. Um die Ikone, die jedes Jahr in die Stadt hinuntergetragen wird, vor Regen zu schützen, wurde dieser Bogengang gebaut.

Auch heute noch scheint dieser Ort ein beliebter Pilgerort zu sein. Man sieht einige Leute mit schweren Rucksäcken, an denen seitlich der berühmte Pilgerbecher herabhängt, dort hinauflaufen. Andere joggen hinauf. Es gibt aber auch Leute, die es sich nicht einmal auf diesem Weg verkneifen können, lautstark zu telefonieren.
Da ich wegen meiner Erkältung nicht sicher bin, ob mir der Weg zu Fuss hinauf nicht zu mühsam ist, fahre ich mit dem Touristenbähnchen nach oben. Hier geniesse ich die Aussicht auf Bologna und auf Hügel, hinter denen, wie mir gesagt wird, bei klarem Wetter der Blick bis nach Modena und Florenz reichen soll.

2019-04-16 16.21.06 (2)

2019-04-16 16.31.31 (2)

In der Kirche selber findet gerade eine Messe statt, so dass ich keinen Blick auf die Ikone werfen kann. Aber ich hatte mich ja vor allem darauf gefreut, dort oben an einem lauschigen Plätzchen gemütlich einen Tee zu trinken. Die „Cafeteria“ entpuppt sich jedoch als nicht sehr einladend.

2019-04-16 16.34.13

Daneben gibt es nur noch einen Laden mit Sakralobjekten. Kurz: Der Ort strahlt pilgerische Askese aus. Für Pilger darf das Leben offenbar nicht allzu genussvoll sein.
Mein persönlicher Pilgerweg durch den Arkadengang führt mich schliesslich nach unten in eine Bar in der Altstadt.


*siehe dazu meinen Blogbeitrag https://nicolesblog.net/2019/02/10/anmache-auf-palermitanisch/

Diario Bolognese – 2. Tag

Sette Chiese

Langsam macht mir der Italienischkurs Spass. Die Gruppe, in der ich bin, hat den für mich genau richtigen Schwierigkeitsgrad. Zudem finde ich es gut, dass wirklich konsequent Italienisch gesprochen wird. Die neuen Wörter und Begriffe werden einfach mit anderen Worten oder Zeichnungen erklärt. Ich habe das Gefühl, dass ich wirklich etwas lerne.
Mit der Zeit lerne ich die Leute besser kennen. Es sind zwei Russinnen dabei, die sich für Italien begeistern. Ein älteres australisches Ehepaar, das 5 Wochen in Italien ist und für Ausflüge manchmal die Schule schwänzt, z.B. wegen eines Paolo-Conte-Konzertes in Turin. Die junge Holländerin studiert gleich ein ganzes Semester in Bologna, Betriebswirtschaftslehre auf Englisch und lernt nebenbei Italienisch. Die Thailänderin ist mit einem Italiener verheiratet und lebt bereits seit 2 Jahren in Bologna. Die Japanerin studiert Gesang und lernt Italienisch, um die italienischen Opern singen zu können. Manchmal gibt es auch Überraschungen. Die Japanerin demonstriert mir, dass sie fast akzentfrei „Chuchichaschtli“ sagen kann. Ein junger Brasilianer spricht mich plötzlich in akzentfreiem Deutsch an. Er habe mit seinen Eltern mal eine zeitlang in Frankfurt gelebt. Später höre ich ihn mit den Russinnen fliessend Russisch sprechen, seine Mutter ist Russin und er studiert momentan in Russland.

Am Nachmittag gehe ich mit einer Gruppe der Schule an einen wunderschönen Ort: Santo Stefano, ein Ensemble von vier ineinander geschachtelten Kirchen. Ursprünglich waren es mal sieben, darum nennt man sie auch „Sette Chiese“.

2019-04-09 16.48.23 (2)

2019-04-09 17.16.35 (2)

Weil Passionszeit ist, sind alle Kunstwerke mit violetten Tüchern, der Farbe der Busse, verhüllt. Das ergibt manchmal interessante Formen.

2019-04-18 16.16.47

2019-04-18 16.15.07 (3)

2019-04-18 16.17.27

In einem Raum befindet sich der Nachbau des Grabes Jesu aus Jerusalem (das wohl ebenfalls ein Nachbau war und schon lange nicht mehr existiert). In der Mitte des Ensembles befindet sich ein Kreuzgang.

2019-04-09 17.39.14

2019-04-09 17.12.54 HDR (2)

Insgesamt empfinde ich diesen Ort als erfüllt mit Frieden und Ruhe, eine Atmosphäre, die mich zum ersten Mal in diesen Tagen tiefer atmen lässt.

Diario Bolognese – 1. Tag

Ankommen

Am Morgen, als ich den Rolladen hochziehe, sehe ich zum ersten Mal den Blick von der Terrasse. Jetzt bin ich wirklich über den roten Dächern Bolognas.

cropped-2019-04-08-07.38.59-3.jpg

Um 9 Uhr muss ich in der Sprachschule sein. Den Weg dorthin durch die Altstadt finde ich schnell. Ich melde mich an der Rezeption. Sie sagen, der schriftliche Test, den ich Ihnen geschickt hatte, sei sehr gut. Sie wollen mir kaum glauben, dass ich bisher vor allem online Italienisch gelernt habe.

Mein Verhältnis zur italienischen Sprache ist wirklich etwas speziell. Da ich sehr viel italienischsprachige Musik höre, habe ich diese Sprache fast täglich im Ohr. Vom Italienischkurs, den ich vor vielen Jahren gemacht habe, ist nicht mehr viel übriggeblieben, darum habe ich vor 2 Jahren mit dem Online-Kurs “Babbel“ angefangen, der mir die Sprache wieder näher gebracht hat.

Nun habe ich bereits einen relativ grossen Wortschatz, der aber durch das Musikhören eher selektiv ist. So weiss ich z.B. genau, dass la rugiada der Morgentau ist und l’imbrunire die Abenddämmerung, kann mich aber kaum verständigen, wenn es darum geht, um eine Auskunft zu fragen. Das ist meine Hauptmotivation, um diesen Kurs zu machen.

Die Gruppe, in die ich zuerst eingeteilt werde, besteht aus einigen älteren Damen und Herren aus England, Schottland, Australien und Amerika. Das bedeutet, alle haben Englisch als Muttersprache. Es ist seltsam, Italienisch zu lernen mit Leuten, die mit englischem Akzent nach italienischen Worten suchen. In der Pause weiss ich nicht, ob ich nun Englisch oder Italienisch mit ihnen sprechen soll und bringe beide Sprachen durcheinander, so dass ich keine mehr richtig kann.

Nach der Pause werde ich in eine andere Gruppe umgeteilt, die etwas anspruchsvoller ist. Jetzt habe ich auch das Gefühl, etwas gefordert zu werden. Dieser Kurs ist international und sprachlich durchmischter, darunter auch jüngere Leute, d.h. so jung, dass ich mich eher alt fühle. Ich bin froh, dass in dieser Sprachschule die Gruppen nicht nach Alter eingeteilt werden, sonst wäre ich mit 50+ bereits in der Seniorengruppe.

Natürlich wird man gefragt, woher man kommt und warum man Italienisch lernt. Wenn ich meine Vorliebe für Cantautori erkläre und dabei den Namen Pippo Pollina erwähne, blicke ich wie erwartet in fragende Gesichter. Mir ist klar, dass der Sizilianer, der seit über 30 Jahren in der Deutschschweiz lebt, in Italien so gut wie unbekannt ist. Später sagt eine Lehrerin, sie kenne ihn. Sie habe eine Zeit lang in Wien gelebt. Klar, er ist eben vor allem in den deutschsprachigen Ländern bekannt.

In den letzten Wochen ist mir immer wieder der Gedanke gekommen: Bin ich nicht etwas bescheuert, dass ich in meinen wohlverdienten Ferien 4 Stunden pro Tag in eine Schule gehe und danach sogar noch Hausaufgaben machen muss?!? Aber so ein Kurs gibt mir eine Tagesstruktur, ich komme mit Leuten zusammen, ohne dass ein Gruppenzwang herrscht, habe noch genug Freizeit und ausserdem wollte ich ja schon lange mal intensiv Italienisch lernen.

Am Ende des Unterrichts bin ich todmüde. Ich gehe erst mal nach Hause und lege mich hin. Ich merke, dass ich noch nicht so richtig angekommen bin. Von Bologna gesehen habe ich immer noch nicht viel.

Nach einer Siesta begebe ich mich auf die berühmte Piazza Maggiore mit ihren vielen pompösen Palazzi und dem Neptunbrunnen.

DSCN2444 (4)

DSCN2440DSCN2445DSCN2447

 

Schliesslich besuche ich die Kirche St. Petronius mit ihrer unvollendet gebliebenen Marmorverkleidung und der schön-schauerlichen Höllendarstellung in ihrem Inneren.

2019-04-15 19.22.36IMG_1526

Und am Abend mache ich, zum Sonnenuntergang auf der Terrasse sitzend, meine Hausaufgaben. Langsam komme ich an.

2019-04-08 19.40.01