Eigentlich wollte ich ja gar nichts über die Anschläge von Paris schreiben. Es wird schon genug darüber geschrieben und geredet. Aber jetzt kann ich nicht mehr anders, sonst „verjagt“ es mich.
Natürlich, alle sind erschüttert und betroffen. Alle verurteilen diesen Anschlag. Alle sind solidarisch mit den Opfern, mit Paris und mit Frankreich.
Natürlich bin ich auch erschüttert. Natürlich sind meine Gedanken auch bei den Opfern und deren Angehörigen. Aber nicht zu sehr. Ich muss mich auch innerlich schützen, um nicht vor lauter Empathie in einen Abgrund zu stürzen, aus dem ich nicht so schnell wieder herausfinde. Wenn ich in Trauer versinke, ist damit niemandem geholfen.
Erschüttert bin ich auch aus einem anderen Grund. Neben den schrecklichen Konsequenzen, welche diese Anschläge auf die direkt Betroffenen haben, werden sie unsere Gesellschaft verändern. Sie wird noch kälter, engstirniger, intoleranter und hasserfüllter werden. Die Tendenz zur Abschottung gegen alles Fremde und zum Ruf nach härterem Durchgreifen gegenüber Flüchtlingen und Ausländern wird gerade in der Schweiz noch stärker werden, der Riss in der Gesellschaft noch grösser. Das macht mir Sorgen.
In den letzten Tagen tue ich das, was ich besonders gut kann: Beobachten und wahrnehmen. Mich interessiert, wie die Öffentlichkeit auf ein solches Ereignis reagiert. Vieles von dem, was ich dazu in den letzten Tagen gelesen und gehört habe, ist oftmals gelinde gesagt haarsträubend.
Natürlich wird dieses Ereignis dazu missbraucht, Angst zu schüren: Auf der Titelseite der „Sonntagszeitung“ prangte gestern die Schlagzeile: „Die Schweiz hat zu wenig Grenzwächter, um die Sicherheit zu garantieren.“ Beim Leser bleibt auf den ersten Blick der Eindruck hängen: Hilfe, unsere Sicherheit ist nicht mehr garantiert! Auch der Verteidigungsminister Ueli Maurer will genau wissen, dass die Terrorgefahr in der Schweiz noch einmal ansteigen wird. Diese Panikmache treibt seiner „Schweizerischen Volkspartei“ noch mehr Wähler in die Arme. Und die Partei kommt ihren Herzenswünschen näher, z.B. noch härter gegen Ausländer vorzugehen und die Armee an die Grenze zu stellen.
Der sonst eher moderate Moderator der Tagesschau leitete eine Informationssendung ein mit den Worten: „Der Terror rückt näher – er ist schon da!“. Wenn das keine Panikmache ist! Angst und Panik zu verbreiten ist ja das Ziel der Terroristen. Sie haben ihr Ziel bereits erreicht. Sie finden gerade bei uns viele (unfreiwillig) Verbündete, die ihnen in die Hände spielen.
Auch sonst sind dieser Tage in den Medien viele interessante Stilblüten zu finden, wenn es darum geht, zu diesem Ereignis Worte zu finden.
Der Präsident des Schweizerischen Evangelischen Kirchenbundes, Dr. Gottfried Locher, drückte in einem Interview seine Betroffenheit aus. Er sagte: „Ich rufe Menschen guten Willens auf, für den Frieden einzustehen.“ Ach wirklich? Und weiter: „Juden, Christen und Muslime müssen gemeinsam gegen extremistische Mörder vorgehen.“ Und was ist mit den Hindus und Buddhisten? Ausserdem meinte ich immer, es sei Sache der Polizei, gegen Kriminelle „vorzugehen“. Ja, sicher ist es schwierig, so kurzfristig die richtigen Worte zu finden. Aber von einem Dr. theol. mit einem so hohen Posten hätte ich doch etwas weniger allgemeine Allgemeinplätze erwartet.
Vieles erscheint unter dem Hashtag „Pray for Paris“. Die Kolumnistin Güzin Kar zitierte auf Facebook folgenden Text: „Friends from the whole world, thank you for „Pray for Paris“, but we don’t need more religion!“ – Jetzt darf man also nicht einmal mehr beten, denn es ist ja alles die ach so böse Religion.
Beim Beten die richtigen Worte zu finden, ist aber auch nicht ganz so einfach. Die Zeitung „Der Tagesspiegel“ berichtet über einen Gottesdienst, der gestern in Berlin in der Französischen Friedrichstadtkirche stattfand. Er stand unter dem Thema: „Wo war Gott?“ – Was soll diese Frage? Will man also jetzt Gott die Schuld in die Schuhe schieben? Ist das Massaker passiert, weil er vielleicht zufälligerweise gerade mal abwesend war? Was ist das bloss für ein Gottesbild?
Beim Gebet wurde dann Folgendes formuliert: „Erhebe dich, unser Gott, steh auf und nimms selbst in die Hand. Mach Frieden.“ Er möge den „Wahnsinnigen die Bomben“ abnehmen, „reiß’ den Fanatikern die Kalaschnikow aus der Hand. Wir schaffen es nicht allein.“
Na toll. Gott wird’s schon richten. Dann müssen wir uns auch keine Gedanken mehr darüber machen, wer die Waffen produziert, exportiert und daran verdient hat. Wir müssen uns gar nicht erst fragen, ob nicht vielleicht wir auch etwas damit zu tun haben könnten, was auf unserem Globus passiert.
Entschuldigung, wenn ich jetzt etwas zynisch werde. Mir fällt auch nichts Besseres ein. Aber wenn ich gestern Gottesdienst gehabt hätte, hätte ich vielleicht gar nicht erst versucht, die richtigen Worte zu finden, weil es die im Moment wohl auch gar nicht gibt. Ich hätte wahrscheinlich die Betroffenheit der Menschen in Worte gefasst und dann ein schweigendes Gebet abgehalten.
Wenn man keine Worte findet, kann auch Musik helfen. Der sizilianische Strassenmusiker Davide Martello reiste am Samstag spontan nach Paris. Auf seinem mitgebrachten Flügel spielte er direkt vor dem Konzerthaus Bataclan den Song „Imagine“, um die Leute zu beruhigen und zu trösten.
Vielleicht ist das gar keine so schlechte Art, dem zerstörerischen Terror zu trotzen.