Im Bus nach Monreale

Dieser Text erschien als Editorial auf den Gemeindeseiten in der Novemberausgabe 2023 der Kirchenzeitung „reformiert.“

Oberhalb von Palermo, nur wenige Kilometer vom Stadtzentrum entfernt, liegt der Ort Monreale. Hier befindet sich die Kathedrale Di Santa Maria Nova, ein faszinierendes Bauwerk im arabo-normannischen Baustil, den es nur in Palermo und Umgebung gibt. Die Wände sind über und über mit Mosaiken bedeckt. Kein Wunder, ist Monreale ein Magnet für den Tourismus.

Von Palermo aus fährt ein Bus hinauf, der meistens überfüllt ist. In dieser Buslinie fährt jeweils ein Angestellter der Busbetriebe mit, der die Billette verkauft oder kontrolliert.

Ich war wie immer mit meinem Monatsabo unterwegs. Dieses besteht aus einer Plastikkarte mit Passfoto. In Palermo muss man aber jeweils auch noch die Kassenquittung vorzeigen, um zu beweisen, dass das Abo bezahlt wurde und aktuell noch gültig ist.

Normalerweise reicht es, dem Kontrolleur die Karte und die Quittung kurz unter die Nase zu halten. Nicht so in diesem Bus. Hier war ein besonders scharfer Kontrolleur unterwegs, der mit Argusaugen jedes Billet ganz genau unter die Lupe nahm.  

Ich zeigte dem Kontrolleur meine Karte und den Kassenzettel. Er nahm mir beides aus der  Hand. Mit den Augen eines Bussards im Sturzflug auf seine Beute fixierte er eine gefühlte Ewigkeit meinen Kassenzettel. Ich bereitete mich innerlich bereits darauf vor, eine Busse zahlen zu müssen – obwohl ich sicher war, ein gültiges Abo zu besitzen – bis mir der Kontrolleur mit einem knappen „apposto“ Karte und Quittung zurückgab. Ich atmete erleichtert auf und wischte mir in Gedanken den Schweiss von der Stirn.

Nun wurde die nächste Passagierin kontrolliert, eine dunkelhäutige, junge Frau. Auch sie zeigte ihr Abo und die Kassenquittung – diese allerdings als Handyfoto. Der Kontrolleur schüttelte den Kopf. Das sei so nicht gültig. Die Quittung müsse im Original vorgezeigt werden. Die Frau wollte das nicht akzeptieren. Es ergab sich eine heftige Diskussion. Doch der Kontrolleur blieb hart. Das Abo sei ungültig, sie müsse eine Busse zahlen oder den Bus verlassen. Die Frau regte sich immer mehr auf, sie zeterte und schrie. Bei der nächsten Haltestelle befahl ihr der Kontrolleur, auszusteigen. Sie aber weigerte sich. Der Streit wurde immer heftiger.

Ich fragte mich, wie die Situation wohl ausgehen würde. Da geschah etwas Unerwartetes:  Eine Frau, welche die ganze Zeit regungslos daneben gesessen hatte, zückte ihr Portemonnaie, nahm eine noch unbenutzte Stempelkarte heraus und überreichte sie wortlos der Frau. Diese stempelte sie und hatte hiermit ein gültiges Billet. Der Kontrolleur zog sich grummelnd zurück und im Bus wurde es plötzlich still.

Dieses Ereignis hat mich später noch lange beschäftigt. Ich fragte mich: Wenn ich selber ein unbenutztes Billet dabei gehabt hätte, hätte ich es der Frau gegeben? Wohl nicht, ich wäre schlicht nicht auf die Idee gekommen, die Situation auf diese Art entschärfen zu können. Dabei war es ganz einfach, was diese Frau getan hat: anstatt demonstrativ wegzuschauen und mit der Haltung „Es geht mich nichts an“ die Situation aus den Augenwinkeln zu beobachten, leistete sie ihren Beitrag, um das Problem zu lösen. Dafür brauchte sie nicht einmal Zivilcourage. Es genügte einfach etwas Geistesgegenwart, der Wille zu helfen und die Bereitschaft, auf 1.40 Euro zu verzichten, um jemanden aus der Patsche zu helfen und eine Situation für alle zu befrieden.

Manchmal bräuchte es einfach nur etwas Aufmerksamkeit für die Mitmenschen, für das, was um einen herum passiert – und der Wille, im Kleinen einen positiven Beitrag zu leisten. Es könnte so einfach sein…

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